Mann von hinten unruhig am Tisch sitzend

ADHS bei Erwachsenen: Wie Sie die Krankheit erkennen und damit umgehen

Nicht nur eine Kinderkrankheit: ADHS zählt zu den häufigsten psychischen Störungen im Kinder- und Jugendalter, mildert sich aber meist mit dem Erwachsenwerden ab und besteht deshalb bei Erwachsenen häufig unerkannt fort. Wir erklären, mit welchen Symptomen sich ADHS im Erwachsenenalter äußert, wie Betroffene im Alltag damit umgehen können und welche Berufe für sie geeignet sind.

Bis vor wenigen Jahren war die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung, kurz ADHS, vor allem als Kinderdiagnose bekannt. Man ging davon aus, dass sich die Störung im späteren Alter größtenteils „auswachsen“ würde. Doch in bis zu 80 Prozent der Fälle besteht die Erkrankung bei diagnostizierten Kindern und Jugendlichen mit einigen oder allen Symptomen bis ins Erwachsenenalter fort.

Wie äußert sich ADHS bei Erwachsenen?

Die Symptomatik im Erwachsenenalter verändert sich allerdings in ihrer Art und Ausprägung: „Die Patienten sind nicht mehr so unruhig oder besser ausgedrückt: Sie haben gelernt, es besser zu verbergen“, sagt Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz, Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie in München und Autorin des Buchs „ADHS – erfolgreiche Strategien für Erwachsene und Kinder“.

So kann der motorische Bewegungsdrang bei Kindern einer ständig vorhandenen inneren Unruhe bei Erwachsenen weichen. Menschen mit ADHS sind oft schnell ablenkbar und zerstreut, sie gehen Aufgaben oft unstrukturiert an oder tendieren zu „geordnetem Chaos“. Auch übermäßige Impulsivität und das Nicht-Einhalten von Langzeitzielen kann ein Problem sein.

Menschen mit ADHS fällt es schwer, auf abstrakte und längerfristige Ergebnisse hinzuarbeiten. „Die Patienten sind sprunghaft und handeln aus dem Moment heraus, sie bedenken nicht die Konsequenzen ihrer Handlungen“, so Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz. Das betrifft neben Aufgaben im Job auch Fragen der generellen Lebensführung, die man im Erwachsenenalter meistern muss: Etwa die Fähigkeit, solide finanzielle Entscheidungen zu treffen, soziale Beziehungen zu pflegen, Vorsicht im Straßenverkehr zu zeigen oder auch nur einen allgemein gesunden Lebensstil zu führen.

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Wie wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert?

Auch wenn einige Menschen die Diagnose ADHS bereits im Kindesalter erhalten haben, gibt es immer noch viele, bei denen die Erkrankung bis ins Erwachsenenalter nicht erkannt wurde. „Höchstens 20 Prozent der erwachsenen Patienten befinden sich in Behandlung“, schätzt Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz. „Die kommen eher wegen Begleiterkrankungen zum Arzt.“

Für eine fundierte Diagnose brauche es Berichte aus der Kindheit, man sehe viele Brüche, so die Expertin: „Ein Blick in die Biografie ist zwingend.“ Denn oft zieht sich die ADHS wie ein roter Faden durch das Leben der Betroffenen, sie zeigt sich etwa in schlechten Leistungsbeurteilungen oder abgebrochenen Karrieren.

Die Diagnostik bei ADHS ist sehr aufwendig, mit Online-Tests ist es nicht getan. Es müssen Fragebögen ausgefüllt und ausführliche Gespräche geführt werden. Eine grobe Einordnung bieten die sogenannten Wender-Utah-Kriterien, die speziell für Erwachsene spezifiziert wurden. Sie beinhalten:

Wender-Utah-Kriterien

  • 1. Aufmerksamkeitsstörung

    z.B. Vergesslichkeit oder erhöhte Ablenkbarkeit

  • 2. Hyperaktivität

    z.B. innere Unruhe, Unfähigkeit sich zu entspannen

  • 3. Affektlabilität

    z.B. schnelle Stimmungswechsel innerhalb weniger Stunden

  • 4. Desorganisiertes Verhalten

    z.B. unzureichende Planung von Aufgaben, Aufgaben werden nicht zu Ende gebracht

  • 5. Gestörte Affektkontrolle

    z.B. andauernde Reizbarkeit, geringe Frustrationstoleranz

  • 6. Impulsivität

    z.B. Ungeduld, Unterbrechen anderer in Gesprächssituationen

  • 7. Emotionale Überreagibilität

    z.B. Unfähigkeit, adäquat mit alltäglichen Stressoren umzugehen, Reizüberflutung

Sind die Punkte 1. und 2. gegeben und zudem noch zwei weitere Punkte aus den Bereichen 3.-7. so liegt eine ADHS-Diagnose zumindest nahe.

„Diese Symptome müssen allerdings auch immer schon in der Kindheit vorhanden gewesen sein. Es gibt kein erworbenes ADHS“, erklärt Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz. „Wenn jemand, der immer ordentlich und konzentriert war solche Symptome entwickelt, dann handelt es sich nicht um ADHS“, so die Expertin.

ADHS und seine Begleiterkrankungen

Die Betroffenen haben häufig einen langen Leidensweg hinter sich. Misserfolge und Frustrationen spielen in Vergangenheit und Gegenwart vielfach eine Rolle.

„ADHS hat eine hohe Rate von Begleiterkrankungen“, sagt Dr. med. Astrid Neuy-Lobkowicz. Die Patientinnen und Patienten erleben seit ihrer Kindheit Misserfolge, sind nicht so weit gekommen, erfahren Ablehnung. Das heißt, sie kommen schon ziemlich frustriert im Erwachsenenalter an.“

Bis zu 80 Prozent der erwachsenen Betroffenen entwickeln Komorbiditäten wie Depressionen, Angst- oder Panikstörungen oder Suchterkrankungen. „Viele Menschen behandeln die Krankheit sozusagen mit Cannabis, Alkohol oder Nikotin selbst.“ Diese Folgekrankheiten werden dann oft behandelt – mit hohen Kosten für das Gesundheitswesen – das Grundproblem ADHS bleibt jedoch bestehen.

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Psychotherapie und Medikamente – Möglichkeiten der Therapie

Laut der sogenannten S3-Leitlinie wird im Erwachsenenalter aufgrund der vorliegenden Evidenz bei leichten und moderaten Formen eine medikamentöse Therapie empfohlen. „ADHS ist eine neurobiologische Störung. Als allererstes muss man also eine medikamentöse Einstellung machen“, sagt auch Dr. Astrid Neuy-Lobkowicz. Gute Ergebnisse verspricht die Medikation mit Methylphenidat (in der Öffentlichkeit hauptsächlich unter dem Handelsnamen Ritalin bekannt).

„Viele Patientinnen und Patienten brauchen dann gar keine Psychotherapien mehr. Das ist eine Dopaminstörung. Wenn man den Botenstoff Dopamin erhöht, können die Patientinnen und Patienten auf einmal aufpassen, die Stimmung ist stabiler.“ Es sei ein Behandlungsfehler, ADHS nicht medikamentös zu behandeln, wenn eindeutige Symptome vorliegen, so Neuy-Lobkowicz.

Leider sei die Situation momentan eher gegenteilig. „Viele Patientinnen und Patienten irren durch die Psychotherapien, haben dort jahrelang ihre Kindheit aufgearbeitet, aber noch immer ist die ursächliche Störung undiagnostiziert.“ Das liegt auch an einer schlechten Versorgungslage, so die Expertin, die in München selbst das ADHS-Zentrum leitet. Noch immer bieten nur wenige Praxen und Kliniken eine ADHS-Sprechstunde an, die sich zielgerichtet an Erwachsene wendet.

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Behandlung mittels Psychoedukation

Ein erster Startpunkt für eine Behandlung besteht in der sogenannten Psychoedukation. Hierbei erhält die Patientin oder der Patient zunächst ein Verständnis über die Krankheit und es werden Behandlungsmöglichkeiten aufgezeigt. Psychoedukation kann zudem eine Veränderung des Selbstbildes und des Selbstwertgefühls anregen, die Betroffene emotional entlastet.

Weitere hilfreiche Ansatzpunkte sind die Verbesserung der Selbstorganisation im Alltag sowie Hilfe beim Stressmanagement, bei der Stimmungsregulation und bei der Impulskontrolle. Ein wichtiges übergeordnetes Ziel von Psychoedukation kann zudem sein, ein sogenanntes ressourcenorientiertes Handeln zu wecken, d. h. die besonderen Stärken eines Patienten herauszuarbeiten und diese durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.

Beispielsweise können Betroffene mithilfe von Verhaltenstherapie lernen, Problemlösungsstrategien zu entwickeln, die eine bessere Kompensation der ADHS-Symptome im Alltag ermöglichen. Verhaltenstherapien können Betroffene zudem beim Umgang mit möglichen sozialen Konsequenzen einer ADHS unterstützen, wie z. B. Arbeitslosigkeit, Scheidung oder sozialer Isolation. Auch zusätzlich zur ADHS bestehende seelische Leiden (wie z. B. eine Depression oder Angststörung) können mit Psychotherapie in der Regel gut behandelt werden.

Wie geht man als Erwachsener mit einer ADHS-Erkrankung im Alltag um?

Für ADHS-Betroffene gibt es zahlreiche Strategien, um ein besseres Selbstmanagement im Alltag und Beruf zu erlernen. Bei ihnen geht es letztendlich darum, Ablenkungen zu minimieren und Reizüberflutungen zu verhindern.

Ein Beispiel ist die sogenannte Salami-Taktik: Anstatt alles auf einmal anzugehen, unterteilt man das Vorhaben in viele kleinere Schritte.

  • Halten Sie Ihr Ziel zunächst schriftlich fest. Überlegen Sie dann, welche Teilschritte zur Bewältigung der Aufgabe nötig sind.

  • Diese Teilschritte notieren Sie sich in der richtigen Reihenfolge.

  • Anschließend prüfen Sie, ob die Durchführung der Schritte realistisch ist und legen fest, wie viele davon Sie an einem Tag bewältigen können.

Mit dem so erstellten Plan können Sie die einzelnen Handlungen Schritt für Schritt abarbeiten und kommen Ihrem Ziel stetig näher.

Bei der ABC-Methode geht es hingegen um Prioritäten. Durch eine einfache Aufteilung erhalten Sie einen übersichtlichen Plan und klare Handlungsanweisungen für unterschiedliche Aufgaben. Unterteilen sie die anfallende Arbeit in:

A-Aufgaben: sehr wichtig (sofort erledigen)

B-Aufgaben: weniger wichtig (später erledigen oder delegieren)

C-Aufgaben: kaum wichtig oder unwichtig (delegieren oder verwerfen)

Mit der klaren Unterteilung verhindert man Prokrastination und leitet die Arbeit in geregelten Bahnen, anstatt kreativ, aber dafür auch chaotisch vorzugehen.

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ADHS und Beruf

„Die Patientinnen und Patienten haben häufigere Arbeitsplatzwechsel und häufigere Arbeitslosigkeit, weil sie unzuverlässig und vergesslich sind. Sie machen viele Flüchtigkeitsfehler oder erledigen ihre Aufgaben immer auf den letzten Drücker. Das prädestiniert sie natürlich für Konflikte“, erklärt Dr. Neuy-Lobkowicz.

Auch wenn ADHS-Symptome auf den ersten Blick Positionen und Stellen in einer Berufskarriere hinderlich sind, gibt es auch Stellen, in denen die vermeintlichen Schwächen unter Umständen sogar von Vorteil sind: ADHS befähige zu Berufen, die spannend, schnell und aufregend sind und wo es darum gehe, einen Auftrag zur erbeuten, ein Interview zu bekommen oder ein Bild zu schießen. Außendienst, Vertrieb, Journalismus seien hier gute Beispiele.

Es geht also um Berufe und Stellen, in denen die Betroffenen viele Freiheiten genießen, ihre Kreativität und Unkonventionalität, ihre Neugier, Flexibilität und ihr Improvisationstalent ausleben können. Aus vermeintlichen Schwächen werden so gefragte Fähigkeiten. „Eine Psychoedukation kann da viel helfen, aber dafür muss sich der Therapeut mit ADHS auskennen und über die Probleme Bescheid wissen. Eine reine Psychotherapie reicht oft nicht“, so die Expertin.

 

An wen können sich Betroffene wenden?

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