Kollage mit Norman Wolf und Viviane Hähne

Spuren im Herzen: Mit den verschiedenen Arten von Mobbing richtig umgehen

Mobbing ist ein Massenphänomen, von dem jeder sechste junge Mensch im Alter von 15 Jahren betroffen ist – so auch Norman René Wolf. Im Gespräch mit Psychologin Viviane Hähne erzählt der junge Autor von seinen Erfahrungen und gibt Tipps, wie man am besten mit unterschiedlichen Arten von Mobbing umgehen kann – als Betroffene und als Außenstehende.

Norman hatte Angst davor, in die Schule zu gehen, auf dem Pausenhof allein zu sein und (verbale) Gewalt zu erleben. Als Jugendlicher wurde der Buchautor und studierte Psychologe gemobbt – und spürt auch heute noch die letzten Narben, die von seinen Erlebnissen geblieben sind.

Er hat seinen Weg als junger Mensch selbst finden müssen. Mittlerweile klärt er als Autor und Referent in den sozialen Medien sowie in Schulen selbst über Mobbing auf und möchte jungen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe geben. Genau aus diesem Grund sprach der 29-Jährige mit Psychologin Viviane Hähne am Tag der mentalen Gesundheit im Instagram Live Video des IKK classic-Kanals darüber, wie man damit umgehen kann, was der psychischen Gewalt zugrunde liegt und was jemanden zum Täter oder zur Täterin macht. Wir haben die wichtigsten Aussagen zusammengefasst.

Welche Arten von Mobbing gibt es?

  • Viviane Hähne: Norman, über deine Mobbing-Erfahrungen hast du ein Buch veröffentlicht. Welches Erlebnis und Verhalten blieben da besonders in Erinnerung?

    Norman Wolf: In der Grundschule war ich ein echt glückliches Kind mit einem guten Freundeskreis. Die Probleme gingen erst in der weiterführenden Schule los: Ich kannte dort niemanden, war sehr schüchtern. Das erste Mal zum Opfer wurde ich bei einer Klassenfahrt. Zuvor dachte ich, das sei die Chance, endlich Freunde zu finden, mich zu öffnen und auf andere zuzugehen.

    Eines Abends haben wir in unseren Betten gelegen und über Mädchen gesprochen. Ich war damals auch unsterblich verliebt in eine Mitschülerin und da habe ich es erzählt, weil alle irgendwie darüber geredet haben. Ich dachte noch, wie aufregend, dass ich jetzt so mit Menschen sprechen kann. Dann bin ich eingeschlafen.

    Als ich aufwachte, wurde ich an Armen und Beinen aus dem Bett gezerrt. Die Täter hielten mich fest und meinten: „Wir bringen dich jetzt zu dem Mädchen und sagen ihr, dass du in sie verliebt bist.“ Ich wurde auf den Flur getragen, da wartete die gesamte Klasse und grölte. Ich habe versucht mich zu befreien und habe geschrien, dass sie mich loslassen sollen. Ich wurde vor ihrer Tür abgeworfen, alle haben gelacht und ich habe mich noch nie so eklig und minderwertig gefühlt.

  • Vivi: Ein schlimmes Erlebnis. Wie ging es dann weiter?

    Norman: Seitdem hatte ich eine Zielscheibe auf der Stirn, auf der „Opfer“ stand. Es schien auf einmal okay, auf mir rumzuhacken. Ich kam aus einem schwierigen Elternhaus, mein Vater war alkoholabhängig, hatte seinen Job verloren und hing nur noch zu Hause rum. Meine Mutter ging als Putzfrau arbeiten, um uns über Wasser zu halten. Also haben sich die Mobber über meine Eltern lustig gemacht und über mein Gewicht. Ich wurde Fettsack genannt, und dass ich ekelhaft und widerlich sei. 

  • Vivi: Damals warst du knapp zwölf Jahre alt. Was war die Folge?

    Norman: Natürlich macht das wütend, weil man nicht weiß, warum das jetzt ausgerechnet man selbst ist, der sich das anhören muss. Vor allem hat es mir unfassbar Angst gemacht. Ich habe angefangen, zu Hause die Stunden zu zählen, bis ich wieder in die Schule musste. Ich konnte nicht einschlafen, ich habe Ausreden erfunden, um nicht in die Schule gehen zu müssen.

  • Vivi: Ist da niemand eingeschritten?

    Norman: Nein. Es gab zwar viele Leute, die nicht mitgemacht und das nur beobachtet haben. Da melden sich jetzt noch viele bei mir, nachdem ich öffentlich darüber spreche, und versuchen sich zu entschuldigen. Damals gab es niemanden. Als Opfer denkt man deshalb, alle sind auf Seiten der Täterinnen und Täter.

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Sieh Dir hier einen Ausschnitt aus dem Gespräch von Vivi und Norman an.

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Folge #2: Mobbing – Hass (nicht nur im Netz)

Bloßgestellt, beleidigt oder bedroht – Cybermobbing hat viele Gesichter. In der zweiten Folge von “Erwachsen werden? Lass machen.” erklären Sänger Philipp Leon – bekannt aus "The Voice of Germany" – und Gastgeberin Vivi, was du dagegen tun kannst.

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Hilfe für Mobbing-Opfer

  • Vivi: Wie kann man dieses Wegschauen verhindern?

       

    Norman: Es ist schwierig. Denn wie will man Kindern beibringen, dass ausgerechnet sie es sein sollen, die den Mut aufbringen. Wenn ich vor Klassen spreche, probiere ich ihnen mitzugeben: „Glaub mir, du bist nicht der Einzige, der das nicht gut findet. Und wenn du etwas dagegen sagst, wenn du dich traust, der Erste zu sein, dann sind direkt drei Mitschüler hinter dir, die auch etwas sagen.“

    Vivi: Ich glaube, dass es wichtig ist, dafür richtige und fördernde Rahmenbedingungen zu schaffen, die es verständlicher machen, dann auch etwas zu sagen. Das muss von ganz verschiedenen Seiten angegangen werden.

    Norman: Das passiert sehr selten. Und zwar auch, weil Lehrkräfte mit dem Thema überfordert sind oder Mobbing-Arten nicht erkennen. Ich frage jedes Mal die Lehrenden, ob sie in ihrem Studium etwas zu Mobbing erfahren haben. Die Antwort ist allermeist, dass sie es mal einen Tag in einem Seminar hatten. Gleichzeitig gehen auf die Frage, wer schon mal Mobbing erlebt hat, die Hälfte der Hände nach oben.

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Vivi: Wer oder was hat dann in deinem konkreten Fall die Mobbing-Dynamik gestoppt?

Norman: Ich hätte gerne die Heldengeschichte zu erzählen, dass ich mir den Mut gefasst habe und die Dinge angesprochen habe. In Wahrheit kam ich zu Beginn der achten Klasse in die Schule und der Täter, der mich am schlimmsten gemobbt hat, war einfach weg. Das war der Anfang der Besserung.

Über die Jahre sind dann auch die anderen Mobber sitzengeblieben. In der zehnten Klasse habe ich seit einem längeren Zeitraum wieder festgestellt: Wenn da niemand in der Klasse ist, der auf mir herumhackt, dann gibt es Mitschüler, die mit mir befreundet sein wollen. Bis dahin war es aber eine schlimme Zeit, ich war teilweise suizidal, hatte keinerlei Selbstbewusstsein, meine Noten hatten sich dramatisch verschlechtert.

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Fünf Tipps für Mobbing-Opfer

Du bist selbst von Mobbing betroffen oder jemand in deinem Umfeld wird gemobbt? Diese Tipps können helfen, die Situation zu verbessern:

  • 1. Bleib nicht alleine!
    Auch wenn es Überwindung kostet – suche Unterstützung. Gibt es Mitschüler, die das Mobbing beobachten und die dagegen aufbegehren können? Es ist hilfreich, wenn mehrere Personen gleich zu Beginn zeigen, dass Mobbing nicht toleriert wird.

  • 2. Dokumentiere die einzelnen Vorfälle!
    In einem Tagebuch sollten die einzelnen Vorfälle dokumentiert werden, um im Fall einer Konfrontation mit den Mobbern eindeutig beweisen zu können, von wem die Aggressionen ausgehen. Im Fall von Cybermobbing sollten zusätzlich Screenshots gemacht werden.

  • 3. Wende Dich an Autoritätspersonen!
    Wenn ein Kind von Mobbing betroffen ist, ist es wichtig, dass die betreuenden Personen Bescheid wissen. Hierzu zählen neben den Eltern auch die Lehrer. Suche das Gespräch mit ihnen und informiere sie über die Situation.

  • 4. Selbstbewusstsein stärken!
    Spezielle Kurse – aber auch außerschulische Aktivitäten wie etwa im Sportverein  können helfen, das angegriffene Selbstwertgefühl wieder zu stärken. Unter Umständen kann man sich hier auch mit anderen Betroffenen austauschen.

  • 5. Ignorieren ist keine Lösung!
    Anstatt die Angriffe hinzunehmen ist es besser, sie öffentlich und sichtbar zu machen. Laute Aussagen wie „Ich will das nicht“ oder „Hört auf damit“ sorgen dafür, dass andere Personen die Situation nicht ignorieren können. Eine direkte Konfrontation zeigt den Tätern auch, dass man sich das Mobbing nicht so einfach gefallen lässt.

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Die Ursachen von Mobbing

  • Vivi: Da fragt man sich natürlich, was in den Köpfen der Täterinnen und Täter vorgeht. Was ist die Ursache für ihr Verhalten?

    Norman: Ich glaube, dass Mobbing einfach ein ganz basaler sozialer Prozess ist. Dieses Prinzip, jemand anderen fertig zu machen, um sich selbst besser zu fühlen ­– davon können wir uns alle nicht freisprechen. 

  • Vivi: Es ist sicherlich auch ein Prozess, um eine Rangordnung in der Klasse darzustellen – das kann schnell zum Nährboden für Mobbing werden. Aber auch die Familie kann eine wichtige Rolle spielen – hast du Tipps, wie man seinem Kind dieses Vertrauen mitgeben kann?

    Norman: Ich glaube, die wichtigste Botschaft an ein Kind ist: „Wenn dir das passiert, dann darfst du mit mir darüber reden und nichts ist zu peinlich, um es zu sagen.“ Das war auch mein großes Problem. Ich habe die ganzen Jahre über nichts gesagt, weil es mir zu peinlich war. Ich habe mit niemandem darüber geredet, ich habe es die ganze Zeit allein geschultert.

  • Vivi: In der Familienkultur muss es normal sein, die Dinge anzusprechen, die einen belasten und dass jemand aufmerksam zuhört, ohne zu werten. Es ist auch super wertvoll, wenn ich es als Elternteil schaffe, meinem Kind möglichst viel Empathie mitzugeben. Diese Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen und Gefühle benennen, ist sehr wichtig für das Sozialverhalten. Würdest du sagen, dass nach der Schule das Schlimmste überstanden ist?

    Norman: Eigentlich kennt Mobbing keine Altersbegrenzung. Das kann auch am Arbeitsplatz passieren, in der Familie und selbst wenn die Person 70 oder 80 Jahre alt ist. Man hat aber den Vorteil, dass man sich die Räume und Mitmenschen besser aussuchen kann. Natürlich geht das nicht immer – etwa am Arbeitsplatz.

Die Folgen von Mobbing verarbeiten

  • Vivi: Als Kind kann man sich sein Umfeld nicht so gut zusammenbasteln. Dabei kann das enorm wichtig sein, sich selbst zu helfen, indem man neben der Schule vielleicht noch ein anderes soziales Umfeld aufbaut. Zum Beispiel in Vereinen oder im Chor – und dort auf Leute trifft, die einen ganz anders wahrnehmen.

    Norman: Ich finde auch, dass zum Beispiel soziale Netzwerke eine super Chance sein könnten, auf Menschen zu stoßen, die dir positiv gesinnt sind, mit denen man befreundet sein könnte. Online hast du mehr Möglichkeiten und kannst dir aussuchen, mit wem du interagieren möchtest und in welcher Form.

    Vivi: Es kann sehr wertvoll sein, aber teilweise besteht leider auch eine Gefahr, weil Mobbing durch soziale Netzwerke noch größer werden kann – Stichwort Cybermobbing.

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Vivi: Zeichnen sich die Spuren des Mobbings bei dir noch heute ab?

Norman: Ich erlebe oft noch Situationen, in denen Gedankenautomatismen aus dieser Zeit in meinem Kopf ablaufen. Dass über mich gelacht wird, dass andere Menschen nur aus Mitleid mit mir Zeit verbringen. Da muss man aktiv ‚Stopp!‘ rufen und versuchen, diese Gedanken zu benennen: Das ist nur ein Echo in meinem Kopf.

Vivi: Ein wichtiger Schritt ist, zu verstehen: Was hat das mit mir gemacht? Was lässt mich das heute noch über mich glauben? Das zu erkennen und dann aufzuarbeiten ist eine Riesenaufgabe. Die muss man aber nicht zwingend allein machen, eine Therapie oder eine Beratung kann helfen.

Hier finden Betroffene Unterstützung:

  • Bei der Nummer gegen Kummer 116 111 können sich Kinder und Jugendliche und ihre Eltern telefonisch oder online beraten lassen.

  • Im Beratungsprojekt juuuport helfen sich Jugendliche gegenseitig, insbesondere in Fällen von Cybermobbing.

  • Auch die Telefonseelsorge ist rund um die Uhr und kostenlos unter den Nummern 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 für dich erreichbar.

Portrait von Norman Rene Wolf © privat

Norman René Wolf

Norman René Wolf war jahrelang Opfer von massivem Mobbing, weil er nach Aussage seiner Mitschüler „einfach nur er selbst“ war. Die negativen Gefühle versuchte er durch Essen zu kompensieren. Normans Probleme fielen plötzlich wie Dominosteine um, als zwei seiner Hauptmobber die Schule verließen. Norman nimmt ab, seine Noten werden schlagartig besser, er macht sein Abitur mit einem Schnitt von 1,2. Anschließend beginnt er ein Psychologiestudium in Marburg. Heute ist er Buchautor („Wenn die Pause zur Hölle wird“) und berichtet auf seinem Instagram-Account (@deintherapeut) über Mental Health-Themen, um anderen jungen Menschen Mut zu machen. 

Viviane Hähne

Als Psychologin, Influencerin (@vivis.psychologie) und Gastgeberin des IKK-Podcasts „Erwachsen werden? Lass machen.“ kennt sich Viviane Hähne mit Themen wie mentaler Gesundheit, Mobbing und Angststörungen aus. Damit geht sie auch an Schulen und berät zum Umgang mit Cybermobbing. 

Porträt von Viviane Hähne © J0CHEN BALDAUF
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