Emotionslos, hochbegabt und irgendwie seltsam – mit solchen Vorurteilen und Mythen haben viele Autistinnen und Autisten zu kämpfen. Sie seien „krank“ und kompliziert. Obwohl rund zwei Prozent der Weltbevölkerung davon betroffen sind, wird Autismus oft klischeehaft dargestellt. Dem möchte unter anderem der Weltautismustag am 2. April entgegenwirken.
Das will auch Andreas Croonenbroeck. Der 46-Jährige erhielt vor neun Jahren die Diagnose „Asperger-Syndrom“ – eine Form von Autismus. Er lebt in der Nähe von Stuttgart, arbeitet als Designer und Journalist. Als Chefredakteur der Fachzeitschrift „autismus verstehen“ möchte er mehr Verständnis für das Thema schaffen. So macht er beispielsweise klar: „Autismus ist keine Krankheit, sondern eine angeborene tiefgreifende Entwicklungsstörung.“ Und diese beinhaltet unter anderem eine spezielle Art zu denken, zu fühlen und zu handeln.
Rund zwei Prozent der Weltbevölkerung sind Autistinnen und Autisten. Doch was hinter der Diagnose wirklich steckt und wie betroffene Menschen damit leben, wissen viele nicht. Um mehr Verständnis zu schaffen, haben wir mit Andreas Croonenbroeck gesprochen. Der 46-Jährige ist Journalist, Designer – und selbst Autist.
„Autismus-Spektrum-Störung“ ersetzt bisherige Kategorien
Da autistische Menschen wie alle anderen Menschen verschieden sind, ist die diagnostische Zuordnung in einzelne Erscheinungsformen nicht sinnvoll. Bis Ende 2021 unterschied die Weltgesundheitsorganisation (ICD10) noch zwischen folgenden Formen: frühkindlicher Autismus, Asperger-Syndrom und Atypischer Autismus. Doch in der seit 2022 gültigen ICD-11-Klassifikation werden diese Unterteilungen nicht mehr vorgenommen. Die Diagnosen lauten seitdem übergreifend ‚Autismus-Spektrum-Störung‘.
"Dieser Begriff des ‚Spektrums‘ verdeutlicht auch, dass die Störung nicht linear verläuft und es keine milden oder schweren Formen gibt“, erklärt Andreas Croonenbroeck. Die einzelnen Formen unterscheiden sich also nicht qualitativ, sondern nur im Grad ihrer Ausprägung.
Aufgrund der Unwissenheit in Sachen Autismus wissen viele Menschen nicht, wie sie mit so einem Verhalten umgehen sollen. Auch im Arbeitsleben, erzählt Andreas Croonenbroeck: „Oft scheuen Arbeitgebende, autistische Menschen auszubilden oder einzustellen.“ Viele Arbeitgebende hätten Bedenken, es sei zu zeit- und kostenintensiv, sie zu integrieren.
Und dabei können diese Menschen im Arbeitsalltag eine Bereicherung sein – denn Autismus hat laut Andreas Croonenbroeck auch einige positive Seiten. Autistische Menschen seien oft sehr direkt in ihrer Kommunikation sowie loyal, ehrlich und zuverlässig. In Fachgebieten, die sie besonders interessieren, können sich autistische Menschen tiefes Wissen aneignen. Manche Autistinnen und Autisten denken extrem logisch und analytisch: „Ihre Sichtweisen können andere, interessante Lösungsansätze für Aufgaben oder Probleme offenbaren.“
Therapiemöglichkeiten bei Autismus
Andreas Croonenbroeck betont aber auch: „Wir haben keine Superkräfte und die Mehrheit ist nicht hochbegabt.“ Auch an dem Mythos, autistische Menschen hätten keine Emotionen, sei nichts dran. Oft sei sogar eher das Gegenteil der Fall, so der Journalist.
„Autisten haben oft sehr starke Emotionen, die ungefiltert auf sie einströmen.“ Die Verarbeitung dieser Emotionen verlaufe anders als bei nicht-autistischen Personen. Deshalb fielen Reaktionen manchmal anders aus, als es Menschen ohne Autismus erwarten würden: „Bei einem freudigen Ereignis kann das beispielsweise äußerlich ungerührt oder teilnahmslos wirken.“
Da es sich bei Autismus nicht um eine Krankheit handelt, ist er auch per se nicht „heilbar“. Es gibt jedoch viele unterschiedliche Therapien, die Autistinnen und Autisten helfen können, ihre Fähigkeiten zu verbessern, ihren Alltag zu meistern.
Dazu gehören Verhaltenstherapie, Logopädie, Sprachtherapie, Ergotherapie und viele mehr. Bei autistischen Kindern liegen die Schwerpunkte unter anderem in der Kommunikationsförderung, der Verbesserung des Sozialverhaltens, der Spiel- und Wahrnehmungsförderung und der Erweiterung der Handlungskompetenzen.
„Masking“: Der Zwang sich anzupassen
Um ihren Alltag zu bewältigen und nicht „aufzufallen“, kopieren viele Autistinnen und Autisten bestimmte, sogenannte neurotypische Verhaltensweisen – das nennt man „Masking“. Sich also eine „Maske“ aufsetzen statt zu sein, wie man ist.
Croonenbroeck erläutert: „Masking kann zum Beispiel heißen, Augenkontakt mit Gesprächspartnerinnen und -partnern zu forcieren, Gesten nachzumachen oder persönliche Spezialinteressen zu verstecken.“ Für die Psyche und den Körper sei das extrem anstrengend. Viele Betroffene entfernen sich immer mehr von ihrem autistischen Selbst und/oder erleiden im Verlauf ihres Lebens eine Depression.
Diese Maßnahmen umzusetzen ist sicherlich kein Ding der Unmöglichkeit. Was oft fehlt, ist die Bereitschaft, sich den Bedürfnissen autistischer Menschen anzupassen. Im Umkehrschluss werde häufig erwartet, dass autistische Menschen zurückstecken. Andreas Croonenbroeck: „Ich wünsche mir Toleranz, Respekt und ehrliches Interesse. Kommunikation gelingt nur, wenn beide Seiten offen aufeinander zugehen.“